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Mittwoch, 19. Januar 2011

Mainstream ist scheiße

 Wir kennen das doch alle...

Ich schlängel mich durch die kiffenden, alternativen, sitzenden, lehnenden Massen im WG-Flur. Die Party rockt, denke ich zumindest. Rockt mit Mukke, die ich noch nie gehört habe. Gefällt mir nicht wirklich, wie auch, ist einfach nur laut und scheiße, aber alle nicken im Beat. Ich nicke also auch während ich mich durchkämpfe. Angekommen im Wohnzimmer sitzen ein paar Frauen im Halbkreis um das einzige Sofa herum. Ich erblicke den freien Platz auf dem Sofa und stelle mich mental auf das Abenteuer ‚Sitzplatz ergattern’ ein. 
Nach schier endlosen einbeinigen Manövern, Entschuldigungen und umgetretenen Dosenbieren sitze ich. Jetzt verstehe ich warum die Frauen so saßen wie sie saßen. Ein Johnny Depp-Verschnitt sitzt, Nein er schneidersitzt auf dem Rest des Sofas. Die rechte Hand dient nur dazu im 90 Sekunden-Takt die Strähne aus dem Gesicht zu bewegen. Eigentlich weiß er, dass er mit der Strähne noch besser aussieht. Aber es ist alles Teil seiner Vorstellung. Ich höre es wird von Film gesprochen. Das ist gut.... ich mag Film... also dachte ich... Er spuckt mit Namen um sich und ich habe das Gefühl den falschen Platz gewählt zu haben. Ich kenne keinen einzigen verdammten Regisseur, Schauspieler oder wen/was er da auch nennt. Die Frauen nicken in den künstlerischen Pausen die er seinen Zuhörern gönnt sofort. Ich nicke natürlich mit. Klar habe ich schon mal von Kagashiwi Hutake gehört und Jean Mourbeau Marielle kenn ich natürlich auch bestens. Zumindest nicke ich und lache als die anderen lachen. Er greift sein Weinglas aus dem er natürlich ein Getränk trinkt das so klingt wie die Namen der Underground-Künstler aus seinem Vortrag. Bier wäre halt viel zu normal und lecker. Jetzt bin ich am Zug... Mhhh mal überlegen, Film ist das Thema... Ich könnte über ‚Lost in Translation’ reden, geht immer durch, ist ja aus der Coppola-Familie... Aber eigentlich möchte ich ehrlich sein...Ich bin ehrlich. „Habt ihr Benjamin Button gesehen? Mein Lieblingsfilm des Jahres!“ – er zieht unter der Strähne seine rechte Augenbraue hoch während er an seinem Glas nippt und die anderen starren mich entgeistert an. Ich würde am liebsten wie in ‚Nightmare – Mörderische Träume’ von Freddy in den Kissenbelag gezogen werden. Nach der unangenehmen Stille sagt eines der Mädchen: „Der ist doch mit Brad Pitt?“. Ich nicke, diesmal alleine. „Brad Pitt ist voll Scheiße!“. Alle nicken, diesmal ich nicht. „Brad Pitt macht nur Mainstream Filme“, als ob die Schmach nicht schon reichen würde, eilt ihr eine Freundin zur Hilfe: „Ja son scheiß Hollywood Blockbuster“, eine Andere tritt auch noch zu: „Blockbuster sind scheiße!“. Inzwischen ist der Depp wieder aufgetaucht und gibt mir den Rest: „Von Brad Pitt ist nur ‚Sieben’ gut, aber eigentlich auch zu kommerziell. Is’ halt Mainstream...“. Jetzt wünsche ich mir, dass Freddy Krüger sich doch wieder Johnny Depp zuwendet.
Was hinter dieser kleinen Anekdote steckt ist meine Wut über diesen abgefuckten Konsens der unter den meisten von uns Studenten besteht. Die Liste ist endlos:
- Amerikanische Filme sind scheiße
- Popmusik ist scheiße
- Bestseller sind scheiße
- nur Underground oder „Anders“ ist cool
- ...
Erfolgreiche Sachen sind generell erst mal scheiße.
Widmen wir uns dem ersten Statement, was mir persönlich am meisten aufstößt. Amerikanische Filme sind scheiße – Gemeint ist, dass Blockbuster schlecht sind und europäische Filme (klar alle europäischen Filme sind Independentfilme) natürlich besser. Es gibt einen enorm großen Independentfilmmarkt in Amerika. Kein Land in Europa produziert so viele kleine Filme wie die USA. Neben Jarmusch, Aronofsky und zahlreichen anderen bekannten Regisseuren haben die USA ein komplett von uns europäischen, fucking wanna-be Cineasten übersehenen Independentmarkt.
Warum sind Blockbuster noch mal generell scheiße? Weil sie so viel Geld haben und so wenig daraus machen – das höre ich am meisten. Was heißt wenig machen? Wer brauch einen 90 Millionen Film über einen Mann am Rande der Gesellschaft. Wo soll das Geld hin? Special Effekts... Während er stirbt nach unerträglich visuell aufgeblähten 87 Minuten (klar da Geld muss ja wo hin) könnte ein Laster im Hintergrund fast unmerklich (nur das Johnny Depp Double sieht es natürlich beim ersten mal) crashen und explodieren. Bevor ich mich verliere in dem Apltraum eines überladenen Paradoxons merke ich, dass der Film ja scheiße wäre, weil so teuer und 90 Millionen hat ja nur ein großes Studio. Großes Studio, d.h. viel Geld, d.h. Blockbsuter, d.h. Mainstream, d.h. Scheiße.
Ich bin mir sich, dass die meisten unter uns einige Blockbuster gerne gucken würden, es wahrscheinlich sogar tun, weil man einfach mal Lust hat sich nicht zu konzentrieren. Man möchte nicht jedes mal sehen wie eine Frau vergewaltigt wird und nur die Untertitel ihren Körper bekleiden. Manchmal braucht man Entspannung und Kino für die Augen. Es ist schließlich Kino... Die Faszination ist in erster Linie visuell und über die Bilder. Wir brauchen das Gegengewicht zum kleinen Film, sonst verdorren wir irgendwann alle. Ein Mensch kann nur so und so viel Kunst vertragen. Ja ich gestehe hiermit, dass ich verdammt viele amerikanische Filme liebe und ‚Benjamin Button’ ist einer meiner Lieblingsfilme.
Eigentlich muss ich gar keine Argumente sammeln, merke ich. Denn es müsste doch nur darum gehen was einem gefällt und was in das eigene Qualitätsraster passt. Warum gefallen so vielen Menschen erfolgreiche Sachen erst mal nicht? Gefallen sie ihnen denn wirklich nicht oder wollen sie das es ihnen nicht gefällt?
Nehmen wir uns die Musik als Feld. Warum ist plötzlich Hip Hop uncool? Und warum bin ich uncool wenn ich Hip Hop immer noch mag? „Ich höre nur Untergrund Hip Hop“ – das heißt wenns bekannt wird hörst du es nicht mehr... Warum? Warum ist es scheiße Kanye Wests Musik zu mögen? Ja ich gestehe hiermit, dass ich verdammt viele Poplieder liebe. Ich liebe the Killers auch wenn es uncool ist sie zu lieben weil sie so kommerziell sind. Scheiße, sie sind so kommerziell weil sie Musik machen die so vielen Menschen auf der Erde gefällt, die ehrlich zu ihrem Geschmack stehen und keinem verdammten Trend hinter her laufen. Ich liebe auch ein paar Lieder aus den Charts und ich mag auch das Lied mit dem Lena den Songcontest gewonnen hat. Ja tue ich... Wenn ich das in einer Mensa sagen würde wäre mir die Aufmerksamkeit sicher. Schließlich hört der Student von heute ja nur schwer auszusprechende, selbsternannte Künstler aus Berlin, die elektronische Nervgeräusche aneinanderreihen und für mich neben angekettet Rosamunde Pilcher Filme sehen die größte Qual wären.
Ich glaube die Antwort auf all die Fragen liegt darin, dass Menschen den permanenten Drang verspüren individuell zu sein und sich von dem Rest abzugrenzen. Was sie gar nicht merken dabei ist, dass sie sich geistig beschränken und zu einer großen Masse von Möchtegern-Individuen werden die alle sagen, dass Tarantino toll ist. Es ist unheimlich einfach gegen etwas zu sein. Warum brauch ich ein Argument? Das ist erfolgreich, da werden schon genügend andere Leute es scheiße finden... Das Bedürfnis nach Individualität führt also zu Übereinstimmung und Ähnlichkeit, es kann sogar von Individualisierung durch Kopie gesprochen werden (aber hierzu an einem anderen Zeitpunkt mehr). Das Verlangen spezieller zu sein ist nach meiner These also sogar stärker als der wahre Geschmack bei vielen. Es ist schön wenn jemand nur Hip Hop hört und nur französische Filme guckt. Schön für ihn, ich kann es ja verstehen, wenn nur das ihm gefällt, aber warum ist alles Erfolgreiche gleich immer weniger wert als das man selber konsumiert. Ist Erfolg gleich Qualität? Nein. Ist Misserfolg gleich Qualität? Nein. Geschmack sollte aus den Menschen heraus kommen und nicht zielstrebig gesteuert werden. Man sollte sich nicht entscheiden können, ob einem etwas gefällt oder nicht, entweder dir gefällts oder halt nicht! Es sollte komplett egal sein wie erfolgreich, wie populär, wie in etwas ist, solange ich ein gutes Gefühl habe und es mir gefällt.
Ich sitze in einem kleinem Kino in Berlin in dem angeblich Tom Tykwer Filmvorführer war. Der Weg zum Kinoraum ist schmal und beschmückt mit Jarmusch und Lynch Filmpostern. Ich gucke mich in dem winzigem Kinosaal um und sehe die durch die Leinwand teilweise erhellten Gesichter. Alle merken das sie etwas großem beiwohnen. Und ich versuche das auch zu merken. Es läuft ein Film der taiwanesischen Nouvelle Vague und nur der Johnny Depp Verschnitt kann den Namen des Regisseurs beim ersten Mal richtig aussprechen. Ich gehe aus dem Film und versuche zwanghaft zu verstehen warum ich so etwas großes gerade erlebt habe. In dem Diskussionsforum vor der Kinokasse erklärt der Depp das wir gerade „echtes Kino“ erlebt haben. Wahrscheinlich bin ich einfach zu ehrlich zu mir selbst. Wenn ich wirklich zu den Hipstern gehören will muss ich ausschließlich in Programmkinos gehen, sofort Musik aufhören zu hören wenn viele es tun, Clubs nicht mehr besuchen wenn alle Welt sie kennt (Wer will schon in nen angesagten Club auf ne geile Feier) und im Umkehrschluss suche ich mir jetzt im Internet ne richtig beschissene Band und höre sie solange bis sie anfängt sich zu verbessern. Ich will ja nicht die Gefahr eingehen das die Band zum Mainstream gehört.
Ich bin dagegen, denn ihr seid dafür.
Ich bin dagegen, ich bin nicht so wie ihr.
Ich bin dagegen, egal, worum es geht.
Ich bin dagegen, weil ihr nichts davon versteht.
Ich bin dagegen, ich sage es noch einnmal:
Ich bin dagegen, warum ist doch egal.

5 Kommentare:

  1. Bin genau deiner Meinung. Warum ist es uncool, Mainstream zu sein? Ich suche meine Bücher nach der Bestseller-Liste aus. Mein Gedanke: Dinge, die anderen gefallen könnten mir ja auch gefallen. Und ich mag die Musik bei MDR Jump. Was ist so schlimm daran? Und nein, ich fühle mich auf Reggae und Balkan Bytes Parties nicht wohl, auch wenn meine Freunde der Meinung sind, dass es nichts bessers gibt. Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mit meinem Mainstream-Geschmack alternativ bin. Verdrehte Welt.

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  2. die erste zeile des ärzte song-textes hätte meiner meinung nach gereicht. ansonsten finde ich den artikel sehr gelungen. erfrischender schreibstil.

    ich denke allerdings, obwohl ich deine argumentation durchaus nachvollziehen und auch so unterschreiben würde, dass es der natürliche drang des menschen ist, sich in einer vollkommen überladenen gesellschaft - so wie es simmel schon vor hundert jahren beschrieb - abheben zu müssen um nicht unterzugehen, um sich selbst definieren zu können und um die selbstbestätigung zu haben, einzigartig und unersetzlich zu sein in einer welt, die entpersonalisiert und an der oberfläche blasiert und kalt ist. ein gesundes selbstbewusstsein ist der einzige ausweg aus diesem teufelskreis.

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  3. sie sind alle so individuell, dass sie vor lauter individualität ganz konform sind.. und jetzt alle im chor: WIR SIND ALLE INDIVIDUEN!

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  4. sehr schöner artikel.

    „Die extreme Individualisierung verkehrt sich, kurz gesagt, in ihr Gegenteil und führt schließlich in die Identitätskrise: Die Subjekte erfahren sich als radikal verunsicherte, ohne „richtiges Gesicht“, von einer aufgesetzten Maske zur anderen wechselnd, da hinter dieser Maske letztlich nichts steckt, eine erschreckende Leere, die sie verzweifelt zu füllen versuchen, mit rastloser Aktivität oder dem zwanghaften Wechseln zwischen zunehmend idiosynkratischen Hobbys oder Kleidungsstilen, die dazu dienen sollen, ihre individuelle Persönlichkeit zu unterstreichen.
    Man kann hier sehen wie eine extreme Individualisierung dazu führt, sich mit ihrem Gegenteil zu überschneiden, mit dem unheimlichen und beängstigenden Gefühl des Verlusts der eigenen Identität.“
    (Zizek: die tücke des subjekts)

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  5. ich wollte Benjamin Button nie sehen eigentlich, weil mainstream, ich werde ihn mir nach lesen des Artikels auf jeden Fall besorgen, story scheint mir interessant

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