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Montag, 31. Januar 2011

Diagnose: Internetwahnsinn

Ich sitze so vor meinem Rechner. Am liebsten würde ich 20 Tabs gleichzeitig öffnen. Am liebsten würde ich 20 Texte gleichzeitig lesen, gleichzeitig eine Doku sehen, mir die Tagesschau im Live-Stream angucken und den neuesten Youtube-Newcomer beglotzen. Oder eines der wirklich unterrepräsentierten und lebensnotwendigen Hilfstutorials. Aber eins nach dem anderen sagt mein gesunder Menschenverstand. „Wozu, du Trottel?“, fragt mich das Internet.

Datenflut, wo bleibt die Arche?

Ich koche mir einen Tee und steck mir ne Kippe an. Wieder sitze ich vor dem Bildschirm. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden. Dann wähle ich das aktuelle Tagesgeschehen, lese ein paar Nachrichten. Höre dabei ein neues Album durch, das ich mir eben mal in wenigen Sekunden gezogen habe. Interpret? Ich glaube irgendwas mit „B“. Mein Hirn bewegt sich irgendwo zwischen Dubstep und irgendwelchen Demos, irgendwo in Afrika. Ach ja Ägypten und warum gehen die Menschen noch mal auf die Straße? Keine Ahnung irgendwas mit Katzen und öffentlicher Steinigung. Die alte Regierung soll dafür exekutiert werden. Der Chef flieht in einem Flugzeug. Seine Frau kann gerade noch so Gold im Wert von 20 Millionen Komma Drei mitgehen lassen. Dann kommt ein al-Irgendwas aus dem Exil und hält sein schützendes Leinentuch über das Land. Augenscheinlich. In Wirklichkeit zeigt er seinen hässlichen Hintern und führt die politischen Geschäfte weiter wie gehabt. Die Gesellschaft verfällt in den alten Trott und steinigt weiterhin Katzen. Ist ja auch egal, die Mukke belebt mich, Politik ist längst berechenbar. Katzen gibts wie Sand am Nil.

Plötzlich eine Erinnerung bei Facebook: Briiing! Tobias hat Geburtstag. Oh man Tobias. Der mit dem ich in der Schule so viel erlebt und vor allem gesoffen und rumgepöbelt hab. Gekifft, gelacht, vergessen. Ein wirklich guter Freund den ich einmal im Jahr vermisse. An seinem Geburtstag. Schnurstracks klatsche ich meinen spärlichen Glückwunsch an seine Facebook-Pinnwand. Aber was macht der Typ überhaupt so? Nach 10 Minuten ist mein Eintrag einer von vielen und auf Seite 147. Ob er ihn bemerkt? Bald darauf erfahre ich was der Typ so macht: Einen Tag später bedankt er sich nämlich ausdrücklich in 1200 Zeichen für alle guten Wünsche. Für alle guten Pinnwandeinträge. Ich fühle mich mal angesprochen. Weiß der Teufel wie es Tobias wirklich geht. Ist ja auch egal, Freunde und Zeit hat der genug. Schöne Grüße von hier!

Nächster Klick: Amazon-Wunschliste. Ausstieg in Klickrichtung links. Wir bedanken uns für Ihre wertvolle Zeit und wünschen weiterhin viel Vergnügen bei der Verschwendung des Tages. Fick dich, Internet! Nicht bevor ich schnell noch ein paar Bücher und CD´s bestellt hab, damit mein „to-read“ und „to listen to“- Stapel zu Hause noch größer wird. Wie ein Nager horte ich Wissen und Abenteuer, Information und Unterhaltung. Im Grunde weiss ich aber nichts, informiere und unterhalte mich nur wenig. Wieder funkt mir das Internet dazwischen: „Blödsinn, alter lass dir Zeit. Du kriegst hier alles was du willst. Die ganze Welt steht dir offen und das ohne Zeitlimit!“ Ganz richtig, murmle ich und denke sogleich an die Werbesprüche schlawinistischer Mobilfunkanbieter. Aber nur solange deine Server laufen, die ich … haha… naja. „Zerstören werde“, wäre wohl etwas zu heroisch. Aber irgendwas werde ich schon tun. Vielleicht virtuelles Fasten, wie wäre das? Früher hat man dicke Computerkinder gedisst, heute gehört man mit einem Real-Life an den Rand der Gesellschaft. Da will ich nicht hin. Zu den ganzen Ausländern und Veganern. Obwohl ich integriert bin werde ich das zermürbende Gefühl nicht los nicht genug zu konsumieren, nicht genug zu wissen und mit meinem Datenverzehr überhaupt niemals zufrieden sein zu können. Es gibt einfach kein Sättigungsgefühl. Alles ist da, alles ist zugänglich aber mich treibt das in den Wahnsinn. „Gebildet ist der, der weiß, wo er findet, was er nicht weiß.“ Ach komm fick dich, Internet! Und: Bekackte Veganerschweine! Fresst Scheiße! Eure eigene, haha!

Nostalgie und Identität

Früher war das irgendwie anders. Man hatte ein paar Bücher und später die Presse. Man hatte Unterhaltungen mit klugen Menschen und die Schule, danach vielleicht die Uni. Dann kam irgendwann das Radio, das Fernsehen, das war toll und man wusste was – aber wollte eben nicht alles. Medien waren weitestgehend an den Tagesablauf angepasst. Morgens die Zeitung, auf dem Weg zur Arbeit das Radio. Abends im Bett dann ein gutes Buch. Bildung und Unterhaltung waren kontrollierbar. Das Angebot war irgendwo da draußen. Aber nicht chronisch präsent in diesem teuflischen Computergerät auf meinem Schreibtisch, in meinem Bett, in der Küche - verdammt ich bin sogar beim Kacken online. Und wer mich kennt weiss, dass das Klo meine Kirche ist. Sogar hier hat sich das Internet also schon seinen Altar errichtet und predigt Datenkonsum. Auf dem Klo man! Nicht das Internet integriert sich in mein Leben. Ich integriere mich in das Internet.

So habe ich das Netz mit meiner Identität gespeist. Ob private Daten oder berufliche Arrangements und Pipapo: In Accounts, Dropbox, Social Networks, Feedreader, Foren, Email, Chat, YouTube und so weiter - und Pornos - teilt sich meine Netzpersönlichkeit auf. Das Internet merkt sich die Geburtstage meiner Freunde, merkt sich meine Termine, kennt meine Musik, kennt meine Politik, weiß was ich vergessen hab. Kurzum: Das Internet ist mein neues Gedächtnis. Und es ist sogar noch besser als das. Es vergisst nämlich nicht.

Als „Mole“ vertraue ich dem Internet meine Gedanken, Hoffnungen, Wünsche und allerhand blödes Geschwätz an. So zum einen diese These: Das menschliche Gehirn ist noch gar nicht bereit für das Internet. Die Datenflut wirkt auf unsere Synapsen überstrapaziös, lässt sie explodieren und wir werden alle zu Pavianen degeneriert. Ich habe mir übrigens sagen lassen, dass Paviane wie die Affen auf zweigliedrige bzw. mit zwei Eicheln besetzte, pinke Dildos stehen. Immerhin würden uns so zumindest die Pornos bleiben. Über "immerhin" kann man sich natürlich streiten. Meine zweite Feststellung: Durch das Netz der Netze, das uns kennt – und alles weiss, für immer - werden wir alle frühzeitig dement. Klingelt`s im Hinterstübchen? Sag bloß du kannst dich nicht erinnern… Dann schau vielleicht mal ins Internet – du Trottel!






...genau

10 Kommentare:

  1. Treffender kann man die generation- internet nicht beschreiben.Diese Omnipräsenz jedem noch so unwichtigen Beitrag und der ständige drang an allem teilnehmen zu wollen-ist einfach kotzig. Fragt sich jetzt nur wie man diesem Internetwahnsinn entrinnen kann ohne gleichzeitig ein schlechtes Gewissen zu haben mal nicht bei einem thema/video/foto mitreden zu können.Geht das heutzutage eigentlich?

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  2. Nein, ich hab ständig das Gefühl nicht genug zu wissen, und das macht mich derbe närrisch. Vor lauter Aufnahme komm ich oft gar nicht mehr dazu, selber was zu produzieren. Vielleicht kann man der Wirrniss durch die Herausbildung von Selektionskompetenz entkommen, letztendlich dürfte nur der off-Knopf die endgültige Lösung für überspannte Internet-Junkies wie uns sein... und wie gut das funktioniert wissen wir ja alle ;-)

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  3. Hehe, das Gefühl stimmt ja schon mal. Jetzt musst du das nur noch richtig einordnen können. Man hortet Wissen, weiß aber nichts...

    Was für ne Art Wissen ist das dann? Was ist mit Sokrates, der weiß, dass er nichts weiß? Vielleicht ist es gerade das Wissen um das Nichtwissen, was uns klüger macht?

    Gibt es unterschiedliche Arten von Wissen? Das Wissen, dass Liebe blind macht - und das Wissen, wer 1982 beim Songcontest gewonnen hat. Ist das dasselbe? Beliebig austauschbar?

    Ich denke nicht. Leider genießt Letzteres heutzutage einen viel zu guten Ruf. Weißt du was ich meine? Denk an die ganzen Quiz-Sendungen, über die du auch mal was schreiben könntest.

    Die Durchrationalisierung der Welt und der Anspruch der modernen Wissenschaft alles durch Berechnung erkennen zu können, hat dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr wissen, was sie wissen sollen.

    Durch die Wissenschaften wird in der Berechnung alles abstrahiert und in ein beliebiges System der Rationalität gequetscht. Im Zuge dieser Verwissenschaftlichung hat sich unser Verhalten zu den Dingen grundsätzlich verändert. Nicht mehr wir sind es, die bestimmen, wie die Dinge sind. Sondern wir sehen die Dinge durch den in uns verankerten Anspruch auf Einordbarkeit.

    Was passiert dadurch mit uns Menschen? Auch wir werden versachlicht. Erst wird die Sicht auf die Dinge objektiviert - im universellen Anspruch der modernen Wissenschaften festgehalten - damit diese dann als Folge die Macht über uns Menschen ergreifen kann.

    So konnte es eben passieren, dass jeder Bereich unseres Leben von der Ökonomie durchdrungen ist. Selbst die so hoch angepriesene Freizeit dient ja nur noch der (ideologischen) Vorbereitung zur Arbeit und zum Konsum.

    Und in diesem Zusammenhang taucht deine "Information" auf. Überleg mal, was das Wort eigentlich heißt. Das "Einprägen" von Daten. Die Reflexion bleibt da auf der Strecke.
    Na klar sind wir dann nur noch arbeitende Konsumenten. Ohne Zweifel dient das Internet dann nur noch als Fortsetzung der Arbeitswelt.

    Ist das wirklich Freizeit ? auf Facebook rumzugurken - chatten? Es ist eher die Auflösung der Unterschiede zwischen Privatem und Öffentlichem und damit der Sieg der Ideologie. George Orwells 1984 scheint da gar nicht mehr so weit von entfernt.

    Freiheit? Individualität? Haha, so lange die Leute dran glauben ist ja alles gut ^^

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  4. Natürlich diktiert die Gesellschaft was zu wissen ist. In welcher Schule findet man heute zum Beispiel noch Lehrbücher speziell für Kinder von Landwirten. Das war im 18. Jhdt. gang und gäbe. Ich finde es auch gut sich darüber Gedanken zu machen was das für ein Wissen ist und welchen Wert es hat. Gerade im Schulbereich lässt sich da bestimmt vortrefflich streiten. Aber wer kann schon sagen was wir eigentlich wissen sollen? Verändert sich Wissen nicht durch Gesellschaft und ist die automatische Unterwerfung unter das Wissensdiktat vielleicht notwendig damit Gesellschaft überhaupt funktioniert?

    Ich denke auch dass die Wissenschaften mit ihrer Schnipselwirtschaft einiges verändert haben. Sie können nur vereinfachte Ausschnitte der Welt präsentieren aber wofür haben wir die Philosophie? Haben wir durch sie nicht vielleicht einen guten Lehrer der uns zeigt was wir wissen können und wie wir reflektieren?

    Unsere Gesellschaft ist auch zweifellos durchökonomisiert. Ich kann mich aber theoretisch entscheiden, und jetzt müssen wir unsere ungerechte Klassengesellschaft außen vor lassen, was ich konsumiere, und habe somit innerhalb des Systems eine gewisse Entscheidungsfreiheit.

    Ich kann mir die Sinnfrage stellen, kann mein Leben überdenken und es gegebenenfalls in eine andere Richtung lenken. Ich kann dies natürlich immer nur innerhalb der gesellschaftlichen Schranken tun aber das ist eben genau mein Ausdruck von Freiheit oder Gegenmacht, die es in jedem System gibt, in dem zwangsläufig Machtverhältnisse herrschen. Auch im Gefängnis, dessen Strukturen und Machtverteilung die Indivudualität gegen Null drücken, bilden sich Subkulturen und innere Machtstrukturen heraus, die von außen oftmals nicht erkennbar sind, für das Individuum aber einen bitteren Kampf um seine Identität bedeuten.

    Gerade die Fähigkeit zur Reflexion verleiht uns heutzutage überhaupt noch diese Freiheit und Individualität um in einem gewissen Maße, mehr noch als bei Orwell oder im Gefängnis, Identitätsarbeit zu leisten und dieser auch Ausdruck zu verleihen. Noch...

    "Information" kann man übrigens vielfältiger auslegen. Das Wort kann auch ganz einfach "Botschaft" bedeuten. Das klingt im Zusammenhang mit Internet und Wissen natürlich weniger polemisch, zeigt aber, dass man sich allein schon mit diesem einen Wort auseinandersetzen muss, um es für sich selbst überhaupt erst richtig deuten zu können.

    Reflexion und kritische Denke sind der Schlüssel zum Erfolg, zumindest in dieser Gesellschaft. Um nicht stehen zu bleiben, sondern immer weiter zu gehen. Wer weiss, womöglich bewahrheitet sich Orwells 1984, vielleicht kriegen wir aber auch endlich mal unsere Ärsche hoch und machen was vernünftiges...

    Mein Facebook geht übrigens seit zwei Tagen nicht mehr. Irgendwie bin ich erleichtert :)

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  5. Reflexion ist auch immer nur im gegebenen symbolischen Rahmen (der Welt in der wir hineingeboren wurden, mit der Sprache, den Begriffen, Normen, Werten die uns gegeben werden) möglich. Philosophie ist momentan sehr stark dekonstruktivistisch. Wo gibt es da noch ein IN-Dividuum?

    Man hat unendlich viele Ichs, definiert sich nur nicht mehr nur unbewusst über die Anderen, sondern völlig bewusst: mittlerweile gibt es ja nicht nur facebook, sondern seiten auf denen man sich mit drei wörtern von anderen menschen beschreiben lassen kann. weil man sich sonst selbst nicht findet?

    aber vielleicht ist genau das auch das weitere problem: sich selbst finden ist das große mantra unserer gesellschaft. vielleicht ist es viel besser sich nicht ständig selbst zu suchen sondern einfach zu machen. zu leben.

    das ist aber aufgrund der sehr sehr gut beschriebenen überflutung kaum möglich. überflutet von wissen, von möglichkeiten, hat man umso mehr das gefühl nichts zu wissen, nichts zu können. oder: alles zu können.

    deshalb wird vielleicht ein gedanke tolstois immer wichtiger:
    "das glück besteht nicht darin dass du tun kannst was du willst, sondern darin dass du immer willst was du tust."

    wer weiß das schon? bei so vielen optionen, dingen (im internet) die man einfach nur klickt. weils gerade bequem ist...

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  6. Euch aus beiden sprudelt auch nur so der Zeitgeist heraus wie er gerad' möchte...
    unendliche viele Ichs, Selbstdefinition, "immer weiter gehen", "Wissensdiktat".

    Ohne euch damit auseinanderzusetzen, werdet ihr selbst zu Relativisten und "Dekonstruktivisten". Seit wann liegt es denn in der Macht des Einzelnen sich selbst zu definieren? Schon das Wort der Definition zeigt die Verwissenschaftlichung des Denkens. Wenn es keine Richtlinien mehr gibt, an die man sich halten kann, ist alles nur noch beliebige Definition.

    Es liegt doch nur indirekt an den Optionen, da die die Folge sind der Ökonomisierung des Lebens. Was ich oben andeuten wollte, ist, dass der wissenschaftliche Geist unser Leben bestimmt. Alles wird unter dem Maßstab der Berechenbarkeit und Verwertbarkeit gehandelt.

    Nur in diesem Zusammenhang kann man den Eroberungszug des Kapitalismus verstehen. Und nur daher kommt es, dass heutzutage jemand das Gefühl hat, in der Vielzahl von Optionen unterzugehen. Möglichkeiten an sich sind ja nichts Verkehrtes. Doch die Beliebigkeit zwischen ihnen ist das Katastrophale.

    Und nun kommt mein Lieblingswort: die Frustrationstoleranz.
    Wären wir frustrationstoleranter, würden wir hier nicht im Internet rumgurken. Wir würden uns nicht immer auf die unmittelbare Befriedigung stürzen. Nicht den leichtesten Weg gehen. Dann könnten wir uns gegen die "Optionen" entscheiden und etwas Sinnvolles machen.

    Und die Sinnfrage ist auch nichts Austauschbares. Die ist untrennbar mit der Frage nach Identität zu denken.

    Überall hört es sich so an, als ob Philosophie etwas Freiwilliges wäre... Heute philosophier ich mal ein bisschen über... mal sehen was so kommt.

    Heute beschäftige ich mich mal mit der Sinnfrage. Oder was sagt der gute Herr Precht? "Die Gesellschaft muss mehr Sinnangebote stiften." - Genannt werden da Familie, Freundschaft, Liebe - als ob der einzige Fehler der modernen Gesellschaft der wäre, dass die Menschen das nicht gewusst haben. Jetzt wissen sie es, gründen eine Familie, und sind glücklich.

    Ja wenn Liebe wirklich etwas Chemisch-Biologisches wäre, warum dann nicht so ein Sinnangebot wahrnehmen? Kann man sich doch wunderbar in den Terminkalender schreiben: Nächsten Sonntag gebe ich meinem Leben zur Abwechslung mal ein wenig Sinn.

    Richtige Philosophie ist nie dekonstruktivistisch.

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  7. Keiner bestreitet deine Verwissenschaftlichung des Denkens. "Wissensdiktat" ist selbstverständlich Zeitgeist, denn es ist das jeweils gegenwärtige Produkt bzw. die Vergegenwärtigung des "wissenschaftlichen Geistes" in gesellschaftlichen Strukturen. Auch "immer weiter gehen" ist Zeitgeist weil Gesellschaft nicht statisch ist.

    Und genau da habe ich angeknüpft. Ich habe lediglich beschrieben, dass es auch noch andere Prozesse gibt die unser Leben bestimmen, wenn auch nur eingebettet in diesen Metaprozess der Rationalisierung. Das sollte lediglich dazu dienen ein paar andere Perspektiven aufzumachen und entkräftet die allgegenwärtige Ökonomisierung im Grunde nicht.

    Weiterhin habe ich gesagt dass man diesen Kreis durch Philosophie und Reflexion durchbrechen kann oder hast du deine Erkenntnis etwa mit dem Löffel gefressen?

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  8. Ich bezweifle nur, dass in dieser Meta-Ebene etwas dem Zeitgeist Entgegengesetztes entstehen kann. Viele regen sich über mainstream auf, dabei gibt es mainstream nur, wenn es eine Fließrichtung gibt. Das derzeitige Mainstream fließt aber in jede Richtung.

    Woran liegt das? Na an der ideologisierten Ziellosigkeit. Wir fristen unser Dasein nicht mehr für einen Gott, nicht mehr für's Vaterland, - all diese ausgesprochenen und beschriebenen Ziele konnten der niedermachenden Kritik des Relativismus nicht trotzen.

    Was wir uns heute auf die Fahnen schreiben, ist gerade das, dass wir keine Ziele haben.

    Dabei gibt es aber anscheinend doch eine Meta-Ebene, die unser Dasein schon beim Denken (!) beeinflusst.

    Fortschritt läuft eben immer auf ein Ziel hinaus. Besser leben, bequemer, einfacher.
    Heutzutage also das rein Körperliche.


    Ich will nicht die Verantwortung für die Verlegung von neuen Schulbüchern tragen, - es geht auch nicht darum, wer bestimmt, was wir wissen sollen. Genausowenig wie es um den Überfluss an Möglichkeiten geht.

    Ich hatte mal einen Freund, der wusste ungeheuer viel. Der ist jede Woche in so ne Kneipe zum PubQuiz gegangen und konnte sogar Fragen zum JungleCamp von vor drei Jahren problemlos beantworten. Aber eigentlich wusste der gar nichts.

    Natürlich hat der auch probiert 4 verschiedene Sprachen zu lernen. Zeitweise war das Arabisch, Chinesisch, Russisch und Japanisch zur selben Zeit.

    ....____

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  9. ___....
    Ich hab mich immer gefragt was das soll. Ich mein,... wir haben genug Computer, die das besser können als er. Und bei den Mädels kam das auch nie besonders gut an.

    Dieser Freund charakterisiert so gut wie kaum ein anderer unsere heutige Zeit.
    Was er gelernt hat, war beliebig. Heute arabisch, morgen chinesisch.
    Heute Junglecamp, morgen Chemie und Physik.

    Er konnte keinen Unterschied mehr machen. Für ihn war alles, was ihm begegnete, potentielles Wissen. Das Unbekannte inbegriffen. Alles war von Interesse. Aber so ein wirkliches "Zwischen-Sein" - ein 'inter-esse'- war das nie.

    Denn auf dieser Meta-Ebene der Rationalisierung gibt es kein oben und kein unten,... kein dazwischen.


    Man hat echt Probleme Menschen zu finden, die noch wirklich leidenschaftlich sind. Die Etwas aus vollster Überzeugung machen - sei es Briefmarken sammeln... Alles ist für die Leute nur noch Wischi-Waschi. Heute so, morgen anders. Je nachdem wie's gerade kommt und wie gerad die Laune ist. Natürlich haben die Menschen dann auch keine Prinzipien mehr, keine Ideale und keine Ziele.
    Die eigene Meinung ist austauschbar. Sie ist genauso beliebig wie alles Andere. Gespräche sind totlangweilig, weil niemand mehr dahintersteht was er sagt. Und wie bildet sich die Meinung? Durch Information (Meta-Ebene).

    Jede Haltung wird nur solange angenommen, wie sie Vorteile erbringen kann. Man redet über Brad Pit - verachtet ihn wenn man gerad über Mainstream lästert, mag ihn, wenn die anderen ihn auch mögen.

    Aber nicht nur die Prinzipien und persönlichen Haltungen gibt es nicht mehr. Kriterien was denn an Brad Pit 'gut' und was 'schlecht' sein könnte, wurden auch grundlegend aufgelöst.
    Auch hier, weil man sich ja auf nichts mehr festlegen wollte.

    Die Ratio - und die Berechenbarkeit - als oberster Maßstab für die Gewährleistung des eigenen Überlebens... die hat uns zuerst den Relativismus beschert, und nun den Nihilismus. Aber gibt es wie bei Nietzsche eine Überwindung? Wohl eher nicht.

    Die einzigen Kriterien, die wir noch haben sind: "für's Überleben nützlich" und "nicht für's Überleben nützlich".

    Auf dieser Ebene kann einfach keine Veränderung passieren. Das kann es nur geben, wenn man versucht ohne die Ratio zu denken. Ein Denken, das sich mit sich selbst befasst, anstatt einem unauffindbaren und nie zu erreichenden Zweck zu dienen.

    Dann begänne die Philosophie. Ein Denken, was immer im Anfang begriffen ist,... was nicht vorgemacht werden kann und immer selbst vollbracht werden muss.

    Aber das gerade ist kein "Immer weiter gehen".
    Es ist vielmehr das Gegenteil. Es ist ein Stehenbleiben, was erst die Bewegung ermöglicht. Ein Sammeln von Zeit, die gelebt werden kann.

    Die Entscheidung, die wir treffen müssen, ist nicht die, im Gefängnis der Gesellschaft eine Subkultur zu schaffen. Sondern die Entscheidung ist immer eine GEGEN die Gesellschaft.

    Und deswegen habe ich vorher von Frustrationstoleranz gesprochen. Philosophieren kann nur, wer dem Druck der Zeit standhalten kann. Dies in körperlicher und philosophischer Bedeutung: Wer kann sich von seinen Zwecken befreien? Wer kann sich von der Nützlichkeit befreien? Wer kann denn schon Langeweile aushalten und wer ist dem tiefen Abgrund gewachsen, vor dem wir im Denken immer wieder gestellt werden?
    Ist es nicht nur eine Toleranz von Frustration, sondern auch ein Aushalten der Angst. Der Angst vor der Nichtigkeit und vor dem Tod.

    Seltsamerweise ist mir fast jeder Emo sympathischer als so ein immer gut-gelaunter Clubgänger... Das sind ohne Zweifel auch schon romantisierte Vorstellung von Emos. Aber im Grunde glaube ich daran, dass wer leiden kann und gelitten hat, auch meistens ein interessanter und 'menschlicherer' Mensch ist.

    Tut mir leid für den langen Beitrag. Man versucht halt immer und überall Gleichgesinnte zu finden :)

    vg K.K.

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  10. Jousten:
    Ein sehr schön geschriebener Text, lieber Herr Mole und ich würde der ganzen Diskussion, die ich ich mir reingezogen habe, weil ich heute sowieso im Lese - und Bildungsflash war (nicht, nicht im Internet, ich hab eine Philosophiehausarbeit geschrieben).
    Das Einzige, was mir spontan dazu einfällt, ist Hartmut Rosas Charakter der Postmoderne; Der Drifter, oder auch Spieler genannt. Er kennt alle von euch genannten Symptome nur zu gut, Er ist eben in der Welt der Entgrenzung, der Enttradierung, der Entbettung aus festgelegten Strukturen, hinein geworfen in den Dschungel der Möglichkeiten (wofür das Internet ein gutes Sysmbol ist) und kann sich nie wirklich entscheiden. Er driftet und schliddert von Angebot zu Angebot, immer auf der Suche nach dem nächsten Reiz. Und vergisst dabei tatsächlich, sich selbst zu definieren; Wobei das Ich ja gewissermaßen auch nur eine Konstruktion ist. Und daher relativ. Gutes Thema. Danke für den abendlichen Denkanstoß!

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