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Donnerstag, 17. März 2011

Ventil für den Geist

Es ist Samstagabend. Ich habe die ganze Woche lang auf diesen Augenblick gewartet. Fünf Tage lang wurde konsumiert, sinniert und weltverbessert. Meinungen und Annahmen wurden dekonstruiert und neu zusammengesetzt – nur um sie erneut in Frage zu stellen. Es wurde analysiert und diskutiert, es wurde versucht anderen seine Meinung aufzudrücken, während diese anderen dasselbe mit ihren Ideen probierten. Dann hat man sich irgendwann festgefahren und alles wieder neu aufgerollt. Zweifellos hat man dadurch gleichsam etwas über die anderen, wie auch über sich selbst gelernt. Und obendrein, allen Lerneffekten erhaben: das thematische Erkenntnisejakulat … hui!


Hin und wieder hat man aber einfach nur enttäuscht der Kopf geschüttelt. Hin und wieder hat man vielleicht auch einfach zu viel gekifft. Doch jetzt ist Schluss mit Kuschelkurs und Hippiescheiß. Die Fronten zwischen einstigen Möchtegern-Weltformel-Diskutanten sind bockelhart und unüberwindbar. Die Lösung im Dialog eine Utopie. Die Nerven liegen Blank. Der Stirnschweiß kocht auf der Gefechtslinie meines Schädels über, als wolle er der Konkurrenz ins Gesicht hüpfen und ihr unter Höllenschmerzen die Augen ausbrennen. Wir befinden uns im Späti und stehen vor der wichtigsten Entscheidung der Woche, ach was, des Lebens: Budwiser oder Augustiner? Sternburg oder Wicküler? Alles oder Nichts.

Zwei Hände nehmen ihre Kampfposition auf Brusthöhe ein. Die Finger verkrampfen sich. Adrenalin durchspült den Blutkreislauf. Dann sprechen die Fäuste. Es geht alles ganz schnell. „Schnick, Schnack, Schnuck“ schallt es aus zwei heiseren Kehlen durch den Getränkeladen. Schere zerschneidet Papier. Papier deckt Stein. Stein schleift Schere. Jedes Symbol schlägt ein anderes und kann wiederum von genau einem anderen Symbol geschlagen werden. So das offizielle, global abgesegnete Regelwerk. Keine drei Runden, kein verdammter Brunnen und keine Hintertür. Dem Gewinner gebühren Ruhm und Ehre. Und der Einsatz. In diesem Fall ein ganzer Kasten der gewünschten Biersorte. Doch der Gewinn ist mehr als nur ein Kasten Bier. Dieser Sieg ist ein Triumph über die faire Debatte und deren emotionale Zerstörungskraft. Ein Moment der absoluten Gewissheit. Die Speerspitze im Kampf gegen Komplexität und Gutmenschentum.

Hätte man nicht halbe-halbe machen können? Was sagt der kleine Diplomat im Dienste meines Hirnapparates dazu? Sollte man nicht einen Kompromiss finden und die Sache ausdiskutieren? Was sagt Angela Merkel dazu? Wahrscheinlich „höhö“ oder halt gar nichts. Und was sagt Guido Westerwelle? „Hihi“ und macht sich ins Höschen.

„Bullshit“, das sage ich. Genug diskutiert. Genug gesprüht, jetzt wird endlich mal gewurstet! Reden wir also Tacheles!

Die große Bildungsanstalt Uni lehrt viel. Dem einen mehr, dem anderen weniger. Für den einen stellt sie bloß das Sprungbrett für eine sagenhafte Karriere dar. Für den anderen ist sie ein Hort des geistigen Schlagabtauschs, die letzte Festung freien Denkens und Lernens. In jedem Fall sollte sie eines tun: kritisches Denken fordern und fördern. Das schließt ein, dass man lernt, andere Perspektiven einzunehmen und seine eigenen Überzeugungen zu hinterfragen und zu verwerfen. Man begibt sich also auf den Pfad der guten Gründe, die man bei sich selbst und bei anderen zu suchen hat. Ich hätte nie gedacht dass ich Xavier Naidoo zitiere, aber was solls, denn er hat mit einem Satz in seinem Fake-Leben recht (und auch das hätte ich mir niemals träumen lassen): „dieser Pfad ist steinig und schwer“.

Wo offener und toleranter Diskurs herrscht, sind Mühsal und Plackerei bei der Auseinandersetzung mit Themen und Meinungen nicht weit. Das intellektuelle Battle findet seinen Ausgang heute immer öfter im „weiten Feld“. Heißt: viel zu komplex, aber gerne wieder diskutierbar. Man legt die verbalen Bandagen nieder, trinkt erst mal nen Kaffee und nimmt das Thema bei Zeit wieder auf. Gar nicht so unklug. So hat man Zeit fürs Nachdenken gewonnen und ist beim nächsten Schlagabtausch vielleicht ein wenig schlauer.
Wie trifft man aber richtige Entscheidungen? Wie vollführt man den Spagat zwischen guter Theorie und guter Praxis? Haben gute Gründe automatisch gute Auswirkungen? Fragen über Fragen, die durchaus selbst diskussionswürdig sind.

Und schon wieder kitzelt man seinen bescheidenen Geist mit universitärem Anstrich und unendlichem Wissensdurst. Aber soll ich dir mal was sagen? Mein Geist hat manchmal null Bock auf Auseinandersetzung und gute Gründe. Manchmal hat er Logik satt, deine Meinung satt, dein Gesicht satt. Manchmal hätte er gerne einen gelben Anstrich und würde einfach nur tun worauf er gerade Lust hat. Und siehe da er tut es. Und trifft dann sogar eine weitreichende Entscheidung. Manchmal. Also oft. Ach... verflixt...



Ich vermute übrigens, dass die Politik ihr Entscheidungen ähnlich trifft.

3 Kommentare:

  1. @what_son: lol
    @mole: Großes Tennis! Hat mich tief berührt, ehrlich... das war so postmodern, so dekonstruktivistisch... wie ein Hamster, der innehält um die Absurdität seiner Position zu bedenken, während das Hamsterrad mit einem leisen Quietschen zum Stillstand kommt. Die Komplexität der Welt und der menschlichen Belange endet scheinbar zwangsläufig in der Aporie, aber es ist ein gutes Gefühl, mal wieder darüber gesprochen zu haben...

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  2. danke clari, freut mich sehr. vielleicht ja bald audio? katschiiiiiingz

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