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Freitag, 25. Mai 2012

Der Teufel und die Wahrheit Teil 1

In dem Moment als die Menschen den letzten Nagel aus dem Holz entfernen, springt der Deckel mit einem lauten Knall auf. Ohne viel Getöse, unnötigen Rauch oder Blitzlichter verstummt das ätzende Wehklagen und eine tiefe, sanfte Stimme dringt aus dem Sarg direkt zu den Grabräubern: „Ich bin es, ihr Unglücklichen. Hört mir gut zu, ihr Würmer, ihr Zweifler und Hilflosen. Ich hoffe es sind gerade so viel Zweifler unter euch wie Würmer, denn die Würmer werden es sein, die euch am Ende des Tages mit Fäusten und Stiefeln erschlagen! Mit den Bloßen Händen sage ich euch! Also hört mir gut zu und unterbrecht mich nicht. Denn werde ich unterbrochen, so zerfalle ich zu Staub und ihr werdet nie erfahren, was ich euch zu sagen habe. Was seid ihr nur für Narren dass ihr mich ausgegraben habt und meine Ketten gelöst! Wisst ihr denn nicht wer ich bin? Habt ihr beim Schaufeln und Schwitzen nie daran gedacht, was sich in diesem Totengrab verbirgt? Oh ihr Ehrlosen, ihr Seelenlosen, ihr Grabräuber! Wie konntet ihr euch so sicher sein, dass ihr nicht vielleicht das Grab eines Kindes oder einer armen Mutter schändet? Wie konntet ihr nur so tun als wärt ihr auf der Suche nach etwas und dabei noch auf dem richtigen Weg und an dem richtigen Platze? Doch halt! Antwortet nicht! Sagt sowieso nichts, überhaupt kein Wort! Ich werde euch selbst antworten, denn ich weiß wie es um euch steht, ihr Verdorbenen; und ich weiß wie es um eure toten Seelen steht, ihr Verzweifelten! Nun gut, so hört mir zu.

Damals, vor sehr sehr langer Zeit, zu einer Zeit als ihr alle noch nicht geboren wart, formten Menschen wie ihr mein Gesicht und setzten mir eine Krone auf. Sie opferten sich für mich auf, verkauften ihr Hab und Gut und ihre Seelen und wurden Eins mit mir und den anderen. Jeder einzelne kam zu mir herniedergekniet und küsste mir die Stirn und den Mund. Danach riss er sich die eigene Seele aus dem Leib und warf sie in einen geflochtenen Korb. Auch sein Herz riss er sich heraus und gab seinem Nächsten davon zu essen. Die Nächsten verschlangen die Herzen mit Wollust und leuchtenden Augen, während ihnen die Herzlosen mit einem sehnsüchtigen Blick dabei zuschauten und meinen tiefsten und reinsten Segen erhielten. Ich bekreuzigte sie und sagte ihnen, die sie sich gerade selbst verkauft und gerettet hatten, dass sie von nun an niemals einsam wären und nicht mehr zu zweifeln brauchten – weder mit sich, noch mit ihren Nächsten. Denn der Segen des Allerhöchsten wäre nun durch ihre Herzen und Mägen gefahren und das Paradies würde sich geradewegs hinter der nächsten Türe auftun. Und schließlich wandelte ein jeder beglückt und ohne Schmerzen hinaus in die Sonne. Die Sonne ging ab diesem Tage wieder auf und unter, wie gewohnt. Die Tage bleiben genau so lang wie immer. Die Arbeit war hart und die Winter blieben kalt. Nur die Herzen der Menschen waren vertilgt und die Seelen der Seelen- und Schmerzlosen blieben unter einem seidenen Tuch in dem geflochtenen Korb, von wo aus sie keinen Schaden mehr anrichten konnten und bis zum heutigen Tage vor sich hinschlummern!“

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